D’r Zoch kütt ... oder Nach - Betrachtungen
im Panoptikum
In der ersten Reihe sitzen sie wieder, leger, mondän und meistens in Schwarz
- oder doch wenigstens dezentgrau. Darüber ein weißes Gesicht, exzentrische Blässe
aus dem Atelier simulierend.
Da, die bunte Schleife am geschnürten
Busen, ein Wink - wofür? - oder nur Abschied signalisierend,
traurige Reminiszenz an anderes Leben?
Dort das große rote Taschentuch, es
wäre ansich schon Hinweis genug, wenn es nur einen
Zipfel gezeigt hätte. Doch sein Schwung, mit dem
es aus der Hosentasche gerissen, und sein Flattern
nach dem prustenden Niesen hinein in die aufmerksam
beobachtete, heilige Stille bannen die Blicke: Seht
- war da nicht gerade ein Anflug von Bewunderung?
- egal, „Seht her, ich weiß Akzente zu setzen“. „Ich,
der Künstler, fast“, oder „Ich, der Mäzen, bestimmt
morgen“, oder „Ich, der Staatstragende oder der intellektuelle
Gaffer“. Jedenfalls: Ich! - Na ja, Sie verstehen
schon, wer der klecksbunten, der gedankenschweren,
der mit toter Eleganz gewandeten Kunst huldigt, steht
hier - der Gönner. Schauen Sie! - hier auf der Galerie,
nicht in der Manege, und schaut über, nicht in die
Menge.
Man spürt, man weiß, sie da haben
das alles arrangiert, ja komponiert und dann eingerichtet,
aufgerichtet, hergerichtet, angerichtet, gerichtet;
denn sie sind die einzigen - Richter. Wo ist der
kunstsinnige Scharfrichter? - ist auch hier.
„Darf man auf Ihre Tribüne, auf die
Galerie? Darf man hinzutreten?“ Oder?
Ist das allein ihre Bühne, ist in der Galerie auf
der Galerie? Oder ist in der Galerie in der Manege?
- Die Welt ist rund!
Das Tuch knallt wie die Peitsche, zwingt
die Blicke - auch die Kunst?
Das Schwarz steht ihnen gut, putzt
ungemein - auf der weißen Galerie. Sie beugen sich
vor, da, jetzt tut sich was: folge ihren Beschwörungen,
sie werden es uns schon zeigen. Hypnotische Gesten
weisen den Blick! Ja, her nach links und gaanz langsam
nach - vorn, halt! Hinaufblicken, die Leute sollen
heraufblicken, verdammt noch mal- zur Tribüne blicken,
na los!
Ah, jetzt drehen die Leute den Kopf, blicken herauf
- und nicken und winken gar.
So ist’s recht, die Schwarzgestreiften
mit ihren blassen Gespielinnen, haben’s gerichtet
und zugelassen, die Leute nicken, welch eine Kunst,
ich bin dabei, sehen Sie, wir sind dabei - neben
der Tribüne, neben der Manege.
Seht ihr die Narrenkappe da oben,
auf den stöckernen Hälsen über den schwarzweißen
Leibern nickt sie lachend, lächerlich, herablassend,
hämisch. Wir, hier oben! Achtung, aufpassen, da geht’s
lang! Grüßen, winken und weitergehen!
Haben die denn das Bild mit dem Apfel
nicht gesehen!
Die weißen Köpfe werden nach rechts
geschraubt, langsam, gemessen, nur nicht zu viel
Interesse, keine Anteilnahme zeigen. Lass sie gehen,
die Leute.
Und so geht das immer wieder, die Leute kommen, wenden
sich, sich friseurhaft beugend und wendend, und sie
gehen weiter, lachend, singend, haben nichts gesehen,
verstanden. Vor dem unermüdlichen Publikum wenden,
nicken, parlieren, essen, trinken, lächeln sie. Und
ihre blutlosen Lippen hängen unter den weißen Gesichtern
lautlos Konsonanten formend.
„Sie fragen, was gegeben wird? - Traurig, eine Komödie!“
Achtung bei dem Apfel der Pfeil, der
Pfeil zeigt die Richtung!
Da kommen schon wieder welche, die
Guten, die Avantgarde, bunt und Lust auf mehr demonstrierend,
weit ausschweifende Gesten, breiter Strich. Kaum
reicht grenzenlose Fläche, viel, hoch, breit. Die
Guten ins Köpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.
Und immer weiter so, Köpfchen, Kröpfchen, köpfen,
kröpfen, köpfen.
Der kritische Richter arbeitet wieder: und zack,
und Strich, und zack, und ab und Schluß!
Ja, merken Sie sich nur die Guten, die die Leichtigkeit
bunter Schnipsel und Punkte eines Harlekins zur Schau
tragen. Leichte Kost eben - etwas für Jedermann.
Aber der ist doch tot - oder? Na und? Das Leben geht
weiter ... oder so.
Und jetzt der Auftritt nach geziemendem
Warten, die mit den Mähnen, die Situierten atmen
den Schwarz-Eleganten entgegen. Sind sie denn schon
im Kröpfchen?
Ihre ebenso ebenholzfarbenen, sichtbar verschlissenen
Uniformen, Entsagung von schnödem Mammon und Gemeinschaft
mit den schwarzen Gönnern demonstrierend, zeugen
von den Geheimnissen ihrer Bruderschaft. Man trägt
schlicht, einfacher, am schlichtesten! Eine Bruderschaft
hat eine Ordnung - schließlich!
Und welchen Rang zeigt dort die Designerjeans mit
dem weißen Hemd? Egal, nur keine Farben bitte, Farben
sind weiblich, nur auf Wirkung und Lust bedacht.
Cool, hart, überlegen sei die Kunst!
So stehen sie - leidend - von und
vor der Kunst, Bilder verdeckend, vor den Farben
- da sieht man sie besser. „Los, treten Sie zu mir
hin, ensemble kann ich mich besser darstellen.“
Eine Rede, eine Rede muß her! Wer
präsentiert sich heute? Wer ist an der Reihe? Oder
ist sonst jemand unvorbereitet genug, um unter den
Schrägen der Allgemeinplätze aus dem Fundus seiner
Tag- und Alpträume eine Rede zu zimmern?
Man formiert sich schon zum gemeinsamen Dienst. Ah,
die Rede beginnt, wie verheißungsvoll, so schön und
bekannt mit der gewöhnlichen Entschuldigung für mangelnde
Vorbereitung. Und jeder versteht. Flugs sind, holprig
und zusammenhanglos aneinandergereiht, tiefschürfende
lebenstiefe Herzensüberzeugungen, zumindest vorletzte
Wahrheiten zu hören.
Ist das die gesuchte Kunst? Form und Inhalt stimmen
jedenfalls überein, flüstert die Schulweisheit aus
grauem Grund.
Und schnell noch die künstlerische Freiheit durch
Anwurf gegen die Politiker manifestieren, der Kunstbetrieb
sei so gelenkt, so gar nicht frei - wie wir es bestimmen
wollen und überhaupt ... egal, d´r Zoch kütt - immer
wieder.
Wir sagen euch schon, wo und wie es lang geht. Nicht
ihr! Kunst ist ein Richter Monopol! - Köpfchen, köpfen,
kröpfen, köpfen.
Unten gibt's was zu trinken, nur nicht
drängeln bitte und zuerst die Leute, bitte. Bitte,
die Leute sollen doch auch etwas haben: Getränk und
Konversation, Brot und Spiele. Nein, zu essen gibt
es heute nichts. Das machen wir nur im kleinen internen
Kreis, im Monopol! Alle gesehen, alles verdaut?
Das letzte Geräusch einer Verdauung
stört herb die Verlassenheit am Ende des Zuges. Es
wird still. Man hatte alles, Manna wurde ausgegossen,
ein wenig Nahrung und prickelndes Getränk - der Form
halber. Schnell zur nächsten Ecke, da kommt der Zug
gleich wieder vorbei. Dort kann man noch einmal dabei
sein, laut sein, wichtig sein und die Süßigkeiten
blasierter Aufmerksamkeit, die Kamelle verstehenden
Augenaufschlags unter Insidern sammeln. Und vor allem
gibt es noch einmal die Droge der zu Toleranz herausgeputzten
Herablassung gegenüber den Leuten. - Oder: „Bis zum
nächsten Mal - mit Häppchen!“
Zurück in der Galerie - ein Angebot
Kunst erscheint, wird sichtbar, in Muße von Betrachtung,
in Stille von Zeit haben, in leisem, niemand bedrängenden
Gespräch mit dem Nachbarn, in unverletzlicher Offenheit
gegenüber Attacken des Ungewohnten, in "Die Gedanken sind frei..."
In der Galerie wird zum Augenblick der Seele, des
Geistes oder was uns sonst so macht.
Neben der Tribüne sind jetzt zu Sonderpreisen
im Angebot: ausufernde Eigen-Gedanken, Fragen- und
Wissen-Blicke, Keine-Angst, Nur-Freiheit.
Der Zug ist vorbei, ist draußen. Die
Manege ist fort. In der Galerie ist nicht auf der
Galerie, nicht mehr die Bühne, nicht mehr Panoptikum.